Art Hotel in Berlin: Warum Kunst im Hotel? Ein Erklärungsversuch
Unser Leben besteht zum großen Teilen aus Routine. Nur selten geschieht etwas Ungewöhnliches. Es ist dann, als würde das Gehirn wachgerüttelt.
Jede real anmutende und zugleich einigermaßen ungewöhnliche Situation, die sich nicht mit den üblichen Denkschemata abhaken lässt, könnte, wie sich herausstellt, das Potenzial haben, die Deutungsmaschinerie des menschlichen Gehirns anzuwerfen. Wie zum Beispiel eine Reise nach Berlin mit einem Aufenthalt in einem Hotel, welches alle bisherigen Hotelerfahrungen auf den Kopf stellt und neben dem Hotelkomfort auch Inspiration, Anregung und Herausforderung durch Kunst bietet.
Eine Reise nach Berlin als solche regt ja bereits durch die vielen Eindrücke die Wahrnehmung an und versetzt die meisten Menschen (ausgenommen vielleicht Handelsvertreter, Kuratoren und andere Vielreisende) in einen außergewöhnlichen, emotionalen Empfangsmodus. Erst aber in der Privatsphäre des Kunsthotels, durch das sich Einlassen auf die Kunstinstallation des jeweiligen Zimmers, erfolgt die Verstetigung dieser Stimulans über den Moment hinaus. Wenn man sich tatsächlich darauf einlässt; was je nach Qualität der Kunst, Müdigkeit, Beziehungsstatus des Gastes, TV-Programm oder WWW-Affinität mehr oder weniger verlockend ist.
Allein im Raum mit der Kunst, eins-zu-eins mit dem Werk, das für den Einzelnen geschaffen ist. Im direkten und unvermeidlichen Austausch, intim und konfrontativ. Die Zimmer im Arte Luise Kunsthotel ermöglichen den Künstlern die direkte Ansprache des singulären Betrachters.
Einzelne, in sich geschlossene und eigens für die Räume geschaffenen Arbeiten dimensionieren das gesamte Haus und sind den Gästen nur individuell zugänglich. Ob Aktions- oder Kontemplationsraum, Kabinett oder Nicht-Ort, ob performativ, installativ oder konzeptuell, materiell oder immateriell – der künstlerischen Schaffung individueller Mikrokosmen sind jenseits der räumlichen keine Grenzen gesetzt.
Damit ist das Arte Luise Kunsthotel ein Ort der unmittelbaren und ungestörten Begegnung mit der Kunst, der Zeit und Raum neu erfahrbar macht und gänzlich neue Formen des Zeigens, des Ausstellens und des Sehens hervorbringt.
Die Kunst in den Zimmern muss daher dieser Herausforderung entsprechen, sonst wird sie lediglich als Dekoration wahrgenommen und die Chance ist vertan, dem Gast den erhofften Mehrwert, den Genuss, den „Kick“, mit auf den Weg (oder ins Bett) zu geben, den die Auseinandersetzung mit Kunst in den Menschen auszulösen vermag.
Wie aktuelle wissenschaftliche Tests aus den Niederlanden zeigen, scheint es die Konfrontation mit dem Unerwarteten, dem Schwer-Deutbaren, dem Absurden zu sein, die unseren Geist stimuliert. Die Begegnung mit dem Ungewöhnlichen versetzt unser Gehirn offenbar in eine Art Muster-Suchmodus. Wir sind normalerweise faule Geschöpfe, die, wo immer wir können, am liebsten auf unsere etablierten Erklärungsschemata zurückgreifen. Das Undeutbare aber lässt sich per Definition nicht mit Hilfe unserer alten Deutungsmuster einordnen: Das Gehirn wird dazu genötigt, jene Netzwerke einzuschalten, die nach neuen Erklärungen fahnden. Wir müssen über das Übliche hinausdenken und weitläufigere Gedanken-Assoziationen herstellen.
Übrigens darf man das Ungewöhnliche und Absurde nicht verwechseln mit vollkommenem Blödsinn. Bei totalem Quatsch wird unser Gehirn erst gar nicht dazu verführt, nach einem versteckten Sinn zu suchen. Das Gehirn klinkt sich aus. Ähnlich wohl auch bei offenbar rein dekorativen Werken, wobei da ja häufig auch die Falle, der Trugschluss, lauert.
Kunst kann den Blick schärfen und unser Hirn auf Hochtouren bringen. Die Kunst scheint uns vermitteln zu wollen, dass wir in Wahrheit umringt sind von Mysterien und unsichtbaren Regeln. Es ist kein Verlass auf das, was du siehst, auf das, was du erlebst, also sieh gefälligst genauer hin. Erlebe die Welt unvoreingenommener. Nimm das, was dir auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheint, nicht als selbstverständlich hin. Die Ungereimtheit ist die Regel, der tiefere Sinn liegt häufig im Verborgenen.
Wir alle lieben die Routine. Unsere Gewohnheiten und Vorlieben ziehen uns zum Immer-Gleichen hin, weg vom Unvertrauten. Der Aufenthalt im Kunsthotel soll zeigen, welchen Wert das Ungewohnte hat: Die sensiblere Auseinandersetzung mit neuen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Philosophien. Und im Nachhinein soll der Gast froh sein, dass er sich auf das Unbekannte eingelassen hat. Das er dem Anderen, dem Experimentellen, dem Neuen mehr Raum in seinem Leben gegeben hat. Und wenn auch nur für eine Nacht.