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BERLINER MORGENPOST IM BLICKPUNKT 12/1999

 

Logieren in der Bananensuite
 Von HENDRIK WERNER

Spätestens seit übereifrige Wupper-taler Putzfrauen eine von Joseph Beuys mit Heftpflastern und Fettbearbeitete Badewanne in Wuppertal reinigten und als Bierkühler zweckentfremdeten, leben Museumsdirek-toren und Galeristen in ständiger Furcht, Kunstwerke könnten durch den Sauberkeitsfimmel einer Putzkolonne zerstört werden. In Hotels.sollte man meinen, ist diese Gefahr ausgeschlossen. Nicht so in dem mit Bildern und Installationen gesättigten Künstlerheim „Luise“ in Mitte. Eine arglose Angestellte des schmucken Hotels wischte eines un-heilvollen Tages mit einem Putzlappen die Signatur einer Künstlerin 
weg. Schließlich sollen die Zimmer,ausnahmslos pflegenswerte Unikate, nicht nur sauber, sondem rein sein. Und überhaupt hatte sie den mit Rotstift auf einen Badezimmerspiegel geschriebenen Namenszug für "anzügliches Lippenstiftgeschmiere" gehalten. Das habe „förmlich danachgeschrieen, poliert zu werden". Ein„bisschen peinlich" sei ihr die ganzeSache später aber schon gewesen, räumt sie ein. Und wienert mit demonstrativer Vorsicht eine Glasvitrine, hinter der zwei weiße Astronautenanzüge mit der Aufschrift „Horse‘ hängen.
 Ein solcher Bildersturm kann in einem Haus wie dem Künstlerheim schon mal passieren, ohne dass das überaus freundliche Personal gleich des Dilettantismus geziehen werden müsste. Schließlich geben hier hehre Kunst und virtuoser Hotelbetrieb erinee so enge Verbindung ein, dass Inszenierung und Realität, Kitsch und Parodie nicht immer zweifelsfrei voneinander zu trennen sind. Zumal in den dreißig Zimmern, von den jedes ein anderer Künstler gestaltet hat - von Dieter Mammels überdimensionalen Bettgestell aus dunkler Eiche über eine von der gealterten Wilden Elvira Bach gemalte laszive Frauen-Troika bis hin zu einer von Thomas Baumgärtel eingerichten Suite die mit Südfrüchten das Deutschland der Wendezeit gewissermaßen zur Bananenrepublik.erklärt. 

In dem Haus, Baujahr 1825, das schon seit März 1995 Gäste beherbergt und im Spätsommer 1999 nach aufwendigen Renovierungsarbeiten neu eröffnet wurde, ist nahezu jeder Einrichtungsgegenstand dem Schönen Guten und Wahren verpflichtet mag er noch so unscheinbar sein. Als sich der kunstbeflissene Autor an eınem frostigen Freitag dorthin aufmachte, hatte er sich vorgenommen, Tourist zu spielen. Er wollte Berlin mit neuen Augen sehen beschloss er, während während er dem Hotel an der Luisenstraße zustrebte, das nur durch Spree und Berliner Stadtbahnvom Regierungsviertel getrennt ist. Zunächst aber hörte er Berlin mit neuen Ohren. Denn das vis-à-vis vom Reichstag gelegene Künstlerheim hat gewissermaßen S-Bahn-Anschluss. Akustisch, versteht sich.Wer morgens in einer der beiden Gemeischaftsküchen arglos eine der köstlichen Schrippen kaut,die amerikanische Malerin Maureen Jeram serviert, wird fast im Minutentakt von Zügen aufgeschreckt undallenfalls um, sagen wir: Baguette-breite verfehlt. Wie „rauschende Wellen im Mittelmeer“ würden ihr die vorbeizuckelnden Bahnen mittlerweile erscheinen sagt Maureen  die sich seit vier Monaten als Frühstückshilfe verdingt.
 Obwohl es auch illustren Gästen wie der brasilianischen Kunstfotografin Luzia Simons und ihrem Mann Werner Knoedgen, der dem von Kindern geliebten TV-Raben  seine krächzende Stimme leiht, nachts oft nur gelingt, " ein halbes Auge zuzumachen",haben rauschender Nah— und Femverkehr ihren ganz eigenen Reiz. Etwa, wenn man frühmorgens unter einem großformatigen Günter-Grass-Ölportrait von Oliver Jordan darüber Wetten abschließt, ob der nächste Zug ein vom Ostbahnhof kommender ICE oder ein aus Richtung Bahnhof Zoo kommender Regionalexpress sein wird. 

 

Saas Beaufort, die mit zehn Kollegen aus dem niederländischen Außenministerium an die Spree gereist ist und das Künstlerheim als "das schönste Hotel der Welt" bezeichnet, hört nach durchfeierten Nächten gar nichts mehr. "Wir gehen immer bis vier Uhr morgens aus. Gegen Techno-Rhytmen ist das hier gar nichts"

Und wer sich wie die 19-jährige Wiebke, die aus dem beschaulichen Soest kommt und sich dennoch alsLebenskünstlerin versteht, die "Hauptstadt irgendwie ruhiger vorgestellt" hat, sollte entweder in den Schwarzwald fahren oder zu den Ohrenstöpseln greifen, die in jedem der pittoresken Zimmer bereitliegen. Die Hotelleitung, die das selbstironische Motto „Schlafen bis zum Aufwachen“ ausgegeben hat, macht mittleweile aus der Schlafnot manchen Gastes eine philosophische Tugend. In  einem „Wartesaal Deutschland"genannten Aufenthaltsraum infomieren Abfahrtspläne über das Vekehrsaufkommen, derweil aus der Jukebox das Pionierlied „Kling Klingellingelling hier kommt mein Drahtesel“ schallt.
Wer in dieser Stadt übernachten will, kann nicht erwarten, dass vorn der Kudamm liegt und hinten Hiddensee”, sagt Mike Buller (32), der das Hotel gemeinsam mit seinem Kompagnon, dem Verleger Torsten Modrow (35), und dem Investor utnd Mäzen Christian Brée betreibt. Zumal das Trio einen 72-jährigen Stammgast aus München im Verdacht hat, „mehr wegen des urbanflairs zu kommen als wegen der Kunstwerke".
Die Regel ist das indes nicht. Die meisten Besucher. die durch das mit Sprüchen des Philosophen Wolfgang Schmid (..Phantastisch ist der Garten der Lüste und die Fülle des leeren Raums“) beschriftete zartgelbe Treppenhaus zu ihren Zimmern emporsteigen, delektieren sich vor allem in den bewohnbaren Kunstwerken, die sogar sinnlich erfahrbar sind. An S:abine Hartungs „La vie en Rose" etwa einem Zimmer, das mit Rosenbriefpapier und Rosenseife ausgestattet ist und duftet. Einzig die  frühere Bauministern Irmgard Adanm-Schwaetzer war die zur Meditation geladende Kunst im Bau nicht genug. Die Politikerin wollte partout ein Fernseher auf ıhr Zimmer haben.
 Der ästhetische Entwurf der Hotelbetreiber beschränkt sich keinewegs nur auf die Inneneinrichtung. Das Gesamtkunstwerk Luise versetzt Gegenwartskunst mit dem Kommunengeist der siebziger Jahre. In denGemeinschaftsküchen herrscht so etwas wie Wohngemeinschaftsatmosphäre unter Spontis. Und wenn die Hotelgäste abends beim Plauschen zum Rotwein greifen und ein Glas das andere ergibt, fehlt nur noch jemand, der zur Klampfe Revolulionlieder singt. 

Das dürfte bis vor einigen Jahren noch durchaus der Fall gewesen sein Zwei Künstlergenerationen gaben sich vor der jetzigenDauerausstellung ein Stellldichein. Gingen oft monatelang in kreative Klausur Malten diskutierten, liebten einander, stritten und bescherten. "Orgien nicht ausgeschlossen”. sagt Torsen Modrow der seinerseits nicht ausschließen will. dass die Politik des Hausen was die Auswahl der Künstler bbetrifft in den Jahren seriöser und vielleicht sogar ein bisschen bürgerlicher geworden ist.  Zumal die mittlerweil verständlicherweise. ggeschäftstüchtigen gewordenen Beireiber das Hotel neben Atelierwohnungen, Aktionsräumen und weiteren. Ausstelungsflächen auch noch mit einem Restaurant ausstatten wollen. Eınes hat sich trotz der mittlerweile gediegenen Preise nicht geändert. Pro Übernachtung und  Zimmer gehen fünf bis Zehn Mark als Obolus an den Künstler. Und sei es nur um ihn zu trösten, wenn die Putzfrau ihren Lappen einmal mehr an einem Konstobjekt ausprobieren sollte.