„Wir sind doch jetzt Jungunternehmer" Mike Buller ist Hausmeister, Technischer Direktor und Mitbetreiber des Künstierheimes Luisenstraße Was er denn erzählen soll, fragt Mike weil Buller und überlegt. Vielleicht, daß er nicht zur Schule wollte als Kind. Für einen Sechsjährigen ein verblüffend pragmatisches Statement: „Schule ist Scheiße, und wenn ich schon gehen muß, dann nicht jeden Tag." Die Erkenntnis hätte er seinen Schulkameraden voraus gehabt. „Die haben das erst ein halbes Jahr später mitgekriegt." Ein bißchen merkwürdig ist die Situation schon. Mike Buller ist nicht jemand, auf den sich die Journalisten stürzen, um ein Porträt über ihn zu schreiben. Eher jemand, der unspektakulär die Dinge tut, die notwendig sind, meist ziemlich prosaische. Sein Lebenslauf ist im Osten nichts Ungewöhnliches, typisch in der bunten Mischung: Fahrradmechaniker, Mitarbeit im Jugendklub, SPD-Wahlkämpfer. Und jetzt auch Mitbetreiber des Künstlerheims Luisenstraße. Sein ziemlich trockener Humor macht das Frühstück im Café nicht einfacher: Fragen, zuhören, essen, beim Lachen nicht unter den Tisch fallen. Kein Wunder bei jemandem, der auf Woody Allen schwört und auf den grotesken Witz in Joseph Hellers „IKS-Haken". Mike Buller, Jahrgang 67, ist an der Jannowitzbrücke großgeworden. In der PGH Mechanik Mitte, Rosenthaler Straße 37, hat er Werkzeugmacher gelernt, in der Dircksenstraße gearbeitet. Bis die PGH einen Fahrradladen in der Brunnenstraße, gleich neben dem U-Bahn-Eingang, eröffnete und Mike dorthin abstellte. Ausgerechnet ihn, der „noch nicht mal 'ne Lampe anschließen konnte". Die Erstbestellung: eine Rechnung mit tausend Unbekannten. Ein Berg von Einzelteilen, von denen er teilweise nicht wußte, was das überhaupt ist. Später wechselten die Jobs: Arbeit bei der Post, Schwarztaxifahrer, Fahrer für einen VEB. Das Fahren kommt immer wieder. Mike und politischer Widerstand - das paßt schon deshalb nicht zusammen, weil es zu pathetisch ist, zu spektakulär und zu humorlos. Er entzieht sich dem Problem eher auf die sanfte Schwejk-Tour. Der Mensch der ihn für die DSF werben soll, nervt einfach. Da füllt Mike den Antrag aus. Beim Eintrittsjahr schreibt er: 2010. Das allerdings fällt erst bei der Ablieferung des Antrages auf... Verlegene bis peinliche Gesprächssituationen löst er bis heute so, daß er anfängt, irgendwelche (Gegen)Fragen zu stellen. Und wenn es zum Thema Hühnerzucht sein müßte - selbst das wäre ihm zuzutrauen. Später geht er zu den ganz freien Jobs über. Klamotten nähen, färben und auf diversen Märkten quer durch die ganze DDR verkaufen, zum Beispiel. Probt - eine ganze Weile vor der Wende - die Marktwirtschaft. Material besorgen braucht Phantasie und Charme, manchmal auch Exportbier. Um gute Farben zu besorgen, geht er die Frauen in der Prenzlberger Zweigstelle des Chemiekombinates mit Sambalita an - ein berüchtigtes wie klebrigsüßes DDR-Likörgift. Aber mit Bier, wie gesagt, ist auch eine ganze Menge zu erreichen. Ein anderes gutes Geschäft sind die Scheren des Deutschen Theaters, von Kostüm- und Maskenbildnern, weil: Mike kennt den alten Scherenschleifer in der Köpenicker/Ecke Friedrichstraße, der seine Werkstatt in ein ehemaliges Außenklo gebaut hat. Ganze Säcke voll Scheren schafft er dorthin. Der Alte, grinst er, habe nur noch mit dem DT zu tun gehabt. Die wiederum waren glücklich, perfekt geschliffene Scheren zu haben. Beziehungen sind alles: Wer hat schon zu Ost-Zeiten die Brötchen an der Wohnungstür zu hängen? „Ab 1987 freier Spediteur in der Ostberliner Kulturszene", steht in der Kurzbiographie des Pressematerials zur Luisenstraße. Irgendwann kutscht er Ost-Bands durch die Wallachei. 1988 kauft er sich einen LKW. In dem Jahr lernt er auch Torsten Modrow kennen. Der leitet den Club JoJo in der Wilhelm-Pieck-Straße, einen der besten Clubs in Ost Berlin. Mike will dort zur Weihnachtssession eine Band spielen lassen; ein Deal wird geschlossen: Er muß dafür die Altstoffe des JoJo entsorgen. Eine ganze LKW-Ladung. Beim Altstoffhandel bringt das 500 Mark, und Mike tankt den Wagen voll: ,,Kannste Dir vorstellen, was das für ein Lebensgefühl war?" Den rot, weiß und grün gestreiften Wagen, erzählt er, hat er „Kreuzberg überlassen". Noch heute sieht er ihn ab und zu in einer der Wagenburgen auftauchen. Ein bißchen extravagant ist sein „neues" Gefährt auch: Ein blauer Lieferwagen mit aufgemalten Luftballons. Ziemlich klapprig, dafür aber unverwechselbar. Im JoJo bleibt er hängen, arbeitet für den Club und auch für das dort ansässige theater 89, eines der bekanntesten Off-Theater in Ost-Berlin. 1990 ist er wild entschlossen, nach Kanada auszuwandern - „ein Holzfällerhemd hatte ich schon gekauft". Von einer Telefonzelle in Washington, am Weißen Haus, telefoniert er mit dem theater 1989 in Berlin. Modrow, Hans-Joachim Frank und Lutz Längert können ihn nur mit Mühe von der Idee abbringen. Im Café unterbricht das piepende Funktelefon die Erzählung, Mike Buller zottelt es aus der Jackentasche, die anderen am Tisch ereifern sich über Funktelefonbesitzer. Mike nimmt eine weitere Buchung für die „Luise" entgegen, schüttelt erst den Kopf, weil er die Resonanz auf die neu eröffnete Pension selbst nicht so richtig fassen kann, und spöttelt dann mit Blick auf die Tischnachbarn. ,,Funktelefon, logisch. Wir sind doch jetzt Jungunternehmer." Letztes Jahr pendelte er zwischen Berlin und Potsdam, arbeitete für die Brandenburger SPD, im Wahlkampfbüro von Steffen Reiche. Auch ein Job. Aufgezogen wurde er dafür mehr als genug. Auf beides reagiert er mit Gelassenheit. Und jetzt die Luise: Gar keine Jungunternehmerprofilierung, sondern einfach Arbeit. Mike definiert sich lieber als Hausmeister, bestenfalls als „Technischer Direktor". Instandsetzen, Bauen, Organisieren. Wieder Fahren, diesmal Ausstattung, Möbel, Material. Mike zuckt die Schultern. „Ich hab mein Leben lang Sachen hin- und hergefahren. Das hört auch nicht auf. Ist vielleicht so 'ne Art Bestimmung." Das Gesicht zuckt - dabei nicht mal. Auch die Antwort auf die Frage, wie das ginge - von der SPD zum Hausmeister in der Luise - kommt todernst. „Du, das ist 'ne ehrliche Arbeit. Eine klare Sache." Das meint natürlich den Hausmeister. Mike Buller, das Faktotum? Eher der Pragmatiker, der es vorzieht, im Hintergrund zu bleiben und ohne viele Worte die Dinge einfach zu tun. Mit dem Projektentwickler Torsten Modrow eine nahezu perfekte Ergänzung. Jetzt allerdings, wo die Luise ein solcher Erfolg ist und sich die Medien drauf stürzen, kommt auch Mike nicht mehr um „die Öffentlichkeit" drumrum. Der SFB war gerade eben erst da, um zu drehen. Die ganzen Fragen, stöhnt Mike, „und dann mußte ich auch noch den Flur entlanglaufen". Aber, feixt er, „das konnte Torsten nicht machen, weil der Kameramann nur noch drei Minuten hatte und es schnell gehen mußte..." 13.-26.04.1996; Scheinschlag; Zeitung aus Mitte; Seite 11; "Wir sind doch jetzt Jungunternehmer"; von ulrike