Spartanisch, aber kunstgerecht In der Luisenstraße 19 öffnet heute ein Künstlerheim als „Galerie auf Zeit" BERLIN. Das Künstlerheim „Luise" öffnet heute in der Luisenstraße 19 seine Türen. Es bietet spartanisch möblierte elf Zimmer mit Gemeinschaftsdusche, -Toilette und -Küche. Auch die Kohleöfen muß der Gast selbst heizen, zahlt dafür aber fast nur Jugendherbergstarif, Gruppen kommen noch günstiger unter. Die Rechnung, daß sich junge Künstler fast nie eine Luxusabsteige á la Lagerfeld leisten können, scheint aufzugehen, denn die 14 Betten waren gestern schon fast ausgebucht. Der Betreiber Torsten Modrow sieht seine "Luise" aber weniger als ein Hotel, sondern mehr als „Galerie auf Zeit". Mehrere Künstler haben die Gästezimmer recht eigenwillig gestaltet. Im zellenartigen „Reichstagszimmer" zum Beispiel ist einzige Zier ein Spiegel, in dem der nur 200 Meter entfernte Reichstag zu betrachten ist. Im Zimmer „Die Schlaflosen" ist Name möglicherweise Programm, da die Bilder den Schlaf beeinträchtigen könnten. Die „Dschungelhöhle" umhüllt ihre Gäste mit lila, grünen und schwarzen Farbgebilden, ein anderes Zimmer heißt: „Morgen wird alles anders". Im Oktober 1996 soll die Gestaltung der Zimmer erstmals gewechselt werden. Eine piekfeine Adresse sollte man nicht erwarten. Das 1828 erbaute Gebäude überstand zwar unzerstört über 160 Jahre Berliner Historie, blieb aber nicht unversehrt. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte überließ Torsten Modrow die Räume in der 2. Etage und im Dachgeschoß zur Nutzung bis 1999. Bis dahin hofft der 33jährige Ost-Berliner einen Investor gefunden zu haben, der das Haus in einem der traditionsreichsten Berliner Quartiere denkmalsgerecht saniert und das Projekt Künstlerheim „Luise" integriert. Obwohl Rücküberführungsanträge laufen, besteht nach dem lnvestitionsvorranggesetz dann nämlich Hoffnung, daß Modrow bleiben kann. Geldgeber seiner Projektideen, die er demnächst bis nach Petersburg ausdehnen will, hat der gelernte Maurer nach eigenen Worten nicht. Als Schwiegersohn des letzten DDR-Ministerpräsidenten, dessen Namen er seinerzeit „aus Liebe zu seiner Frau" angenommen habe, sei ihm schon vieles nachgeredet worden, aber damit könne er „leidenschaftslos leben". Das Haus in der Luisenstraße hat einschlägige Tradition. Um 1858 wohnte hier ein Leutnant von Clausewitz, vorübergehend lebte auch die Familie von Bülow dort, bis ihr Palais daneben (heute die „Möwe") fertig war. Seit den 20er Jahren bis 1990 war die Luisenstraße 19 dann die Adresse vieler Studenten-Generationen. Fotounterschrift: WARTEN AUF GÄSTE. Torsten Modrow im Zimmer „Reichstag" seines Künstlerheims „Luise" in Mitte. 01.04.1995; Tagesspiegel; Spartanisch, aber kunstgerecht; von Heidemarie Mazuhn